„Brich das Muster auf, das die Lerninhalte verbindet, und du zerstörst notwendigerweise alle Qualität.“
(Gregory Bateson in GEIST UND NATUR)

So wie Nino aus der damals 5. Klasse hingen öfters Jüngere vor Schulbeginn im Fliegenden Künstlerzimmer an der Wollenbergschule in Wetter ab. Er erzählte mir eines Morgens im Sommer 2018, wie gerne er mit dem Traktor über den Acker brause und zeigte es mir sofort stolz-schüchtern in einem Video – wenn ich mich recht erinnere – auf seinem YouTube Kanal. Leider kam er nie mit dem Trecker in die Schule. Bauer wolle er aber auf jeden Fall werden!

Die Schule liegt in sehr ländlichem, nordhessischem Gebiet gleich am Feldrand. Ein riesiges Panoramafenster gen Osten lässt morgens unglaubliche Sonnenaufgänge erleben.
In Flurgesprächen versuchte ich regelmäßig Impulse für die Wichtigkeit der Kontextualisierung von Essen zu geben. Der Gedanke, die ländlichen Lebensmittel direkt von Erzeugern konsequent in der Schule einzusetzen, ist nur einer davon.

Als erster kleiner Schritt entstand im Herbst 2018 eine internationale Tafel zum Schulfest mit Gerichten aller Nationen, die an der Wollenbergschule vertreten sind. Eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen brachte mit Freude Speisen aus Ländern mit, zu denen sie sich direkt oder von Seiten ihrer Eltern kulturell verbunden fühlte.

Auf dem Gelände befindet sich ein Schulgarten mit Kräuterbeeten, Bienenkästen und großzügiger Streuobstwiese – aus städtischer Sicht purer Luxus. In einem solchen Flurgespräch entstand die Idee, Säfte und Schnaps mit von Schüler*innen gestalteten Etiketten herzustellen, die beispielsweise als Weihnachtsgabe für umliegende Ämter dienen könnte; eine logische Idee ohne Schnörkel. Zeitpunkt und curriculare Aufgaben ließen leider nicht den Freiraum für die direkte Umsetzung.

Matthias Hartmann, der Leiter des damaligen Schülercafés „InselCafé“, hatte immer ein offenes Ohr für solche Ideen. Mehr noch: Er kam regelmäßig mit Anregungen, wie man etwas gestalten könne. Durch ein gemeinsam entwickeltes, wunderbares Dinner für die Schulabgänger der 10. Klassen, unterstützt von einem Spitzenkoch aus der Umgebung und einem exzellenten Schüler*innen Koch- und Serviceteam und Lehrer*innen, lernte ich im Frühjahr 2019 über Matthias einige Erzeugerhöfe in der Umgebung kennen. Es gab Säfte, Sirup, Gelee, Milch, Eier, Eingelegtes und Eingemachtes und vieles mehr in einfachen, schnörkellosen Verpackungen. Es erschien logisch, all dies in der Schulmensa einsetzbar zu machen.

Kochen als Fach ist die Grundlage für die Schulmensa an der Wollenbergschule, in der Schüler*innen für Schüler*innen kochen. Im Frühjahr 2020 übernahm Matthias jene Mensa und gestaltet sie seitdem nach und nach um. Vor wenigen Wochen rief er mich an und erzählte, dass er gerade ein Netzwerk von lokalen Produzenten aufbaue, die zukünftig die Schulmensa beliefern sollen und damit Discounter perspektivisch aus dem Lieferprogramm ausgliedert werden. Unsere Gespräche über das Gestalten von Essenssituationen im Schuljahr 2018/2019 hätten seine Gedanken bestärkt, diesen Weg einzuschlagen. Dieses Vorgehen wiederum ist Gestaltungsgrundlage für eine Mensawand, auf der Schüler*innen sehen können, woher die Produkte ihrer Speisen kommen, nämlich von den Äckern, die sie umgeben.

Nach Ende des Schuljahres 2018/2019 halten Matthias und ich noch immer sehr guten Kontakt. Es sind bis dato eine Vielzahl verschiedener Projekte entstanden und es werden weitere folgen. Zu sehen, wie die in Flurgesprächen geformten Gedanken weitergesponnen werden, auch wenn das Fliegende Künstlerzimmer schon weitergezogen ist, gibt ein gutes Gefühl.

Die Logik des Alltags bietet eine Vielzahl von Verknüpfungsmöglichkeiten der Dinge. Sie werden logisch, wenn wir ein Muster erkennen. Christoph Keller von der Stählemühle sprach einmal darüber, dass es ganz gleich sei, wie fancy die Etiketten, Logos und Verpackungen zu den Produkten sein mögen. Zuvor wächst alles in der Erde und muss bei Wind und Wetter mit Händen und Geräten bearbeitet werden, um später in veredelter Form konsumierbar zu sein. Leidenschaft und Aufmerksamkeit geben den Dingen einen Wert. Es ist wertvoll, zu sehen, woher und unter welchen Bedingungen die Lebensmittel entstehen, die wir täglich konsumieren.

DANKE Nino, für deine Treckerleidenschaft und DANKE Matthias für deine Offenheit und deinen Enthusiasmus!

Jan Lotter (Fliegender Künstler an der Wollenbergschule im Schuljahr 2018/2019)