„Die Arbeiterschaft des Geschichtsgrundkurses von Frau Hertweck vor das Gebäude, in einer Reihe aufstellen und weiteren Anweisungen folgen!“

Es hat ein paar Sekunden gebraucht, bis wir realisiert haben, dass wir gemeint sind und dann tatsächlich auch aufgestanden sind. Einfach so. Auch wenn ich mich gefragt habe, was das jetzt werden soll und wer sich da schon wieder welche super kreativen und super lustigen Dinge hat einfallen lassen. Und so hat es auch gedauert, bis ich mich auf das, was da passiert ist, einlassen konnte. Und nicht nur ich, auch andere fanden es total komisch, im Gleichschritt durch das Schulgelände zumarschieren. Noch immer wusste keine*r so genau, was passieren würde.

Am fliegenden Künstlerzimmer angekommen, wurden uns dann aber doch schnell klar, was uns blühte, als Frau Haase und Herr Michl (beide in Uniform) uns Stundenkarten gaben. Drinnen dann: dunkel, furchtbar laut, schlechte Luft, unheimliche Hitze und Aufteilung in zwei Reihen. Vorne die Männer, hinten die Frauen. Was für ein sexistischer Sch***!, dachte ich. Was soll das? Und dann auch noch angeschrien werden? Naja, das war wohl nicht alles, wie wir merkten, als die Reihen in entgegengesetzten Richtungen im Kreis laufen durften. Seltsamerweise haben wir alle einfach mitgemacht. Ohne dass uns wirklich gesagt wurde, dass wir mitspielen müssen. Keine*r von uns hat irgend etwas hinterfragt, wir haben es einfach so gemacht.

In drei Regimente eingeteilt Schiffchen falten, während im Hintergrund Fabriklärm war und man uns angeschrien und unterdrückt hat, – was uns natürlich unheimlichen Druck gemacht hat. Man konnte keine Papierschiffchen falten? Gab es nicht! Bei jemandem abgeschaut oder nachgefragt wurde auch nicht, ansonsten gab es Ärger. Irgendwann hieß es Arbeitsteilung, was erstaunlich gut funktionierte. Immer noch falteten wir wie blöd an den Schiffchen. Auf einmal hörte man, dass es einen Arbeitsverweigerer gäbe. Hmm, irgendwie verständlich, dachte ich. Diese absolut unbequeme Haltung auf dem Boden, das schnelle, monotone und vor allem unnötige Arbeiten, wovon wir immer noch nicht wussten, wieso wir es taten. Wahrscheinlich war ich nicht die Einzige mit dem Gedanken, aber trotzdem haben wir alle weitergemacht. Wir ließen uns einfach so kontrollieren. Wie mit einem Fingerschnipsen haben wir nichts mehr kritisiert oder hinterfragt, – zumindest nicht laut.

Nach der Entlohnung, die durchaus willkürlich verlief und für Frauen sowieso schlechter ausfiel als für Männer, war es dann vorbei. Wir saßen schweigend im Kreis, alle irgendwie mitgenommen und sprachlos. Ich selbst wusste auch nicht, was ich sagen sollte. Nachdem ich über das Geschehene nachgedacht hatte, fand ich es gut, dass der Unterricht mal auf diese Art stattgefunden hat, war aber gleichzeitig auch traurig. Traurig und erschrocken. Darüber, dass wir einfach über uns haben bestimmen lassen, dass wir uns nicht gewehrt haben. Gegen nichts und niemanden. Und das, obwohl uns wahrscheinlich nichts passiert wäre. Ich habe mich gefragt, wieso wir uns nicht dagegen aufgelehnt und gestreikt haben. Das wäre wahrscheinlich sogar einfacher gewesen als Schiffchen unter Druck zu falten.

Ist das nicht erschreckend? Dass wir einfach etwas über uns ergehen lassen, anstatt etwas dagegen zu tun? Obwohl wir dazu erzogen werden, Dinge kritisch zu hinterfragen, uns eine eigene Meinung zu bilden und diese zu äußern? Sollte uns das nicht allen Sorgen machen? Ist es nicht das, was eine Diktatur oder andere Dinge ähnlich der NS-Zeit ermöglicht? Vermutlich schon, denn was braucht es mehr, als eine Gesellschaft, die alles schweigend hinnimmt und tut, was man ihr sagt?

Erschreckend. Denn ich dachte bis zu diesen Zeitpunkt, ich wäre ein Mensch, der hinterfragt, seine Meinung äußert und sich wehrt. Genau wie andere im Kurs, von denen ich das weiß. Keine*r hat es gemacht. Erschreckend.

Meira (Schülerin Geschichte GK)